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Von Nina Schedlmayer.

Ich – „Scheissliche Ostblocker“

Begriffliche Bestimmung des Seins in der Wiener Secession

Abseits eitler Selbstbespiegelungen beleuchtet die Ausstellung „I (Ich) | Performative Ontology“ in der Wiener Secession das Ich (22. September – 12. November 2006).



„Ja“ heißt auf Tschechisch „Ich“. Auf einer Einladungskarte, die die Prager Galerie „Futura“ (Zentrum für zeitgenössische Kunst) im Mai ausschickte, stand „Ja“ vor dem Namen aller an der Ausstellung beteiligten Künstler, also: „Ich Saskia Holmkvist“ oder „Ich Lawrence Weiner“.
Der von Vít Havránek, dem Projektleiter von tranzit.cz [1], kuratierte Teil drei der Schau wird demnächst in der Wiener Secession (Partner der Erste Bank) gezeigt. Im Juni 2005 war der zweite Teil in den „tranzit workshops“ in Bratislava zu sehen. Eine Ausstellung „in drei Akten“, wie Havránek meint. Dieses Prinzip setzt sich in der jeweiligen Präsentation selbst fort: So werden (außer bei der Eröffnung) nie alle Arbeiten gleichzeitig zu sehen sein, sondern jeweils nur ein Teil davon, nach einem detailliert ausgearbeiteten Plan – vom ersten Tag der Ausstellung an in einem jeweils zwei- bis dreiwöchigen Rhythmus. Erster Akt: „Set-up“, zweiter Akt: „Confrontation“, dritter Akt: „Resolution“, angelehnt an das Drama der Neuzeit, als die Anzahl der Akte manchmal von den fünf des klassischen Dramas auf drei reduziert wurde.
Unweigerlich erinnert dieses Konzept an Roger Buergels „Die Regierung“, wo in der Secession ständig umgeräumt wurde. Diesmal ist es jedoch anders: Die Exponate sind, inklusive Beschriftung, vorhanden, bloß ausgeschaltet oder verdeckt – unsichtbar. Das habe, erläutert Havránek, „nichts mit Arroganz zu tun. Im Gegensatz dazu soll das Prinzip der Abwesenheit den Wunsch hervorrufen, sich das Werk vorzustellen.“ Dabei müsse der Kurator Rücksicht nehmen auf die „innere Zeit“ jeder Arbeit: „Jede einzelne Arbeit hat ihre eigene Länge und zeitliche Dramaturgie.“
Und wozu die ganze Übung? „Um eine zeitliche Dimension sowie eine dramatische Entwicklung der Ausstellung zu gewinnen, wie im Theater oder im Kino.“
Vielleicht ist eine kuratorische Strategie, die auf Abwechslung setzt, auch notwendig – das Thema der Ausstellung jedenfalls ist alles andere als leicht verdaulich: Schon der Titel mit seiner eigenwilligen Interpunktion – „I (Ich) | Performative Ontology“ – klingt kompliziert bis sperrig. Die Ontologie, laut lexikalischer Definition die „Lehre von der begrifflichen Bestimmung des Seins“, existiert, erläutert Havránek seinen Ausgangspunkt – „nur in Individuen, im ‚Ich’ in einer konkreten Zeit.“ Dies interessiere ihn in seiner „performativen, zeitlichen Dimension. Ein und dasselbe Individuum kann auf verschiedene Anforderungen zu unterschiedlichen Perioden in seinem Leben unterschiedlich reagieren.“ Und dies wiederum drücke sich in den Arbeiten der Ausstellung aus.
Meistens sind darin – mehr oder weniger direkt – die Künstler und Künstlerinnen selbst involviert: Alan Currall überbringt auf Video eine „Message to my best friend“: „You’ve got a great record collection“, teilt er ihm darin vertrauensvoll mit, und: „The way you dress is cool but funky.“ Lise Harlev denkt in bunten Plakaten über ihre Gefühle gegenüber ihrem Heimatland nach: „I often catch myself criticizing my own country. But do I really think it’s that bad a place? Or am I just afraid of seeming nationalistic?“ Boris Ondreička artikuliert in seiner Wandinstallation, wie ihn die Welt rundherum sieht oder sehen könnte: „They call me subject, inhabitant, citizen and Slovak. They call me foreigner, alien, European, but mostly ‚Scheissliche Ostblocker’.” Saskia Holmkvist lässt sich von einem Coach beibringen, wie sie kommunikationstechnisch am besten ihre Arbeit vermarktet. Jiří Skála vermisst die Volumina seiner Familie und übersetzt sie in banal wirkende Kisten. Der 1976 im Atlantik verschollene Bas Jan Ader weint einfach nur in seinem schon legendären und hochpathetischen Kurzfilm „I’m too sad to tell you“ – warum, weiß keiner. Im Gegensatz dazu die Arbeit von Jiří Kovanda, dem Experten fürs Lapidare, der auf einem Foto ebenfalls losheult, uns allerdings wissen lässt: „Ich habe so lange in die Sonne geschaut, dass ich begonnen habe zu weinen.“
Die Künstler treten hier nicht als unbeteiligte Beobachter, als kühle Dokumentaristen und distanzierte Analytiker auf, sondern geben unverblümt zu, dass man selbst eben doch immer noch Hauptdarsteller und Regisseur zugleich im eigenen Leben ist. Mit psychologisch motivierter Selbstbespiegelung oder eitlen Befindlichkeitsstudien hat dies allerdings wenig zu tun, mehr schon mit der Überlegung, wie sich im Handeln und Denken des Ich gesellschaftliche, kulturelle und politische Gegebenheiten niederschlagen.

[1] Tranzit widmet sich der Förderung von zeitgenössischer Kunst und Theorie in Mittel- und Osteuropa und setzt Schwerpunkte in Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Österreich.

„I (Ich) | Performative Ontology“
Kurator: Vít Havránek
22. September – 12. November 2006
Eröffnung: Do, 21. September, 19.00 Uhr

Secession (Partner der Erste Bank)
Friedrichstraße 12
A -1010 Wien


Nina Schedlmayer, geboren 1976, lebt als freie Kunstkritikerin und Journalistin in Wien. Sie schreibt unter anderem für „profil“, „artmagazine.cc“ und „spike“.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,August 2006



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